Wenn du diese Seite angeklickt hast, möchtest du bestimmt wissen, weshalb wir uns den Aufwand gemacht haben, so etwas wie KuLKids überhaupt ins Leben zu rufen. „Für jedes Kind ein Spiegelbild“, was soll das heißen? Wieso noch eine Seite über Diversität. (*Anmerkung KuLKids: Es kann eigentlich nicht genug davon geben) Und wieso muss man schon die Kinder damit belasten? (Anmerkung KuLKids: Die Kinder sind sowieso schon vorbelastet.)
Zu viel Diversität ist anstrengend
Diese Fragen stellen viele. Oder sie fragen gar nicht. Sie behaupten einfach, dass es nicht nötig wäre. Dass wir mittlerweile von den Forderungen nach Diversität überhäuft werden. Dass man sich nicht mehr retten könnte von dieser Vielfalt und es einfach nur stören würde, dass heutzutage überall Menschen unterschiedlicher Hautfarben oder sexueller Orientierung, Transgender und Regenbogen-Familien vorkommen müssen, Menschen mit Behinderung dürfen auch nicht fehlen und dann ist da noch die Sache mit den Frauen. Habt ihr auch diesen Tinitus im Ohr?
Entschuldigung, Frauen sind gleichberechtigt, was wollt ihr eigentlich noch? Diese Gleichmacherei geht echt auf die Nerven. Ich will einfach nur in Ruhe einen netten Film schauen und mir nicht ständig darüber Gedanken machen, wer darin vorkommt und wer nicht.
Privilegien, die blind machen
Das hast du auch schon mal gedacht oder jemanden denken hören? Wusstes du auch, dass man nur so denken kann, wenn man selbst nicht betroffen ist? Wenn man sich selbst ständig und überall repräsentiert sieht, braucht man sich nicht damit zu beschäftigen, dass es anderen an Repräsentation fehlt. Diese Freiheit, sich keine Gedanken darüber machen zu müssen, ob die eigene Sichtweise in Büchern, Filmen, politischen Debatten, wirtschaftlichen Interessen, Bildungsangeboten etc. vertreten ist, nennt man Privileg. Privilegien erkennt man daran, dass sie unsichtbar sind. Ergo: Man erkennt sie nicht. Man hält sie für selbstverständlich. Sie machen uns deshalb blind für das, was andere betrifft.
Den Schuh der anderen anziehen
Falls du schon einmal mit Kinderwagen in Berlin unterwegs warst, hast du einen Vorgeschmack dessen, wie es ist, im Rollstuhl zu sitzen und ständig nach dem Fahrstuhl suchen zu müssen. Vielleicht verstehst du auch, was es bedeutet, wenn der kaputt ist. Der Unterschied: Den Kinderwagen kann ich zur Not die Treppe runtertragen. Dazu muss ich vielleicht um Hilfe bitten, aber es geht. Außerdem liegt mein Kind ja nicht für immer im Kinderwagen. In einem Rollstuhl bin ich ununterbrochen auf die Funktionstüchtigkeit der barrierefreien Ausstattung der Öffentlichkeit angewiesen. Oder auf die Unterstützung anderer. Das Privileg, mich frei überall hinzubewegen, habe ich nicht. Was nicht heißt, dass ich nicht andere Privilegien haben könnte.
Beispiel
Sitze ich als weiße, heterosexuelle cis-Frau im Rollstuhl, habe ich zwar die Benachteiligung durch zum Teil fehlende Barrierefreiheit, dennoch genieße ich die Privilegien eines weißen Menschen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft. Im Klartext:
- Ich werde nicht gefragt, woher ich komme
- Noch wird mir hinterhergerufen, ich solle doch wieder dorthin zurück
- Niemand wundert sich darüber, dass ich so gut Deutsch kann
- Ich habe größere Chancen, wenn es um Jobs oder Wohnungen geht
Da sagst du jetzt vielleicht:
Frauen und Männer – ein veraltetes Märchen?
Äh, nein. Ich bin der beste Beweis dafür. Einmal hatte ich einen Kollegen (gleiche Arbeit, ähnliche Erfahrung), der mit fast 1/3 mehr Gehalt eingestellt wurde als ich. Das ist mir über Umwege zu Ohren gekommen. Als ich meinen Chef fragte, wie das sein kann, erhielt ich die Information,
dass von dem Gehalt des Kollegen schließlich die ganze Familie leben müsste.
Ein Chef
Entschuldigung?! Was ist das für ein Argument? Von meinem Gehalt hat zu dem Zeitpunkt auch die ganze Familie gelebt. Abgesehen davon sei er mit der Absicht eingestellt worden, befördert zu werden, was auch kurze Zeit später geschah. Zwar wurde ich zeitgleich ebenfalls befördert, musste dennoch darum kämpfen, dass mein Gehalt dem neuen Job angeglichen wurde. Genauso viel wie mein männlicher Kollege habe ich trotzdem nicht verdient, obwohl ich bereits mehrere Jahre im Unternehmen war und ihm weitere Jahre treu blieb. Mein männlicher Kollege verließ den Job kurze Zeit später. Guess why: Woanders hat er mehr verdient.
Vermutlich hat der Kollege von dem Drama im Hintergrund wenig mitbekommen. Als er sein Gehalt bei der Einstellung verhandelte, wusste er ja auch nicht, dass er damit mehr als alle Kolleginnen in der Abteilung verdienen würde. Er profitierte einfach von seinem Privileg, als Mann in der Gesellschaft immer noch als derjenige angesehen zu sein, der sich um die finanzielle Absicherung der Familie kümmern muss, was ihm im Job entsprechend entlohnt wurde.
Aber genug vom Thema Frau und Mann. Wenn dich das interessiert, schau bald wieder rein, dann findest du mehr dazu.
Normativität mitgedacht
Gehen wir zurück zu unserer Beispiel-Person: Sie ist heterosexuell und nicht nur weiblich geboren, sie definiert sich auch als Frau.
Als solche kann sie zum Beispiel in der Öffentlichkeit mit einem Mann Händchen halten oder sich küssen, ohne dabei fragende, belustigte, irritierte, empörte, angewiderte oder sonstwie abwertende Blicke oder Kommentare zu ernten. Sie kann dementsprechend einfach untergehen.
Selbstverständlich gibt es noch weitere Formen der Diskriminierung, die in unserem Beispiel nicht auftauchen. Man kann aufgrund einer Übergewichtigkeit diskriminiert werden oder wegen der sozialen Herkunft. Ein beruflicher und sozialer Aufstieg ist zum Beispiel sehr viel einfacher, wenn man aus akademischen Schichten kommt, die Familie Besitz aufweisen kann usw. Oder man gehört einer Religionsgemeinschaft an, die ausgegrenzt oder angefeindet wird.
Intersektionalität
Die meisten Menschen profitieren in einem Bereich von Privilegien, während sie in anderen Bereichen einer Diskriminierung unterliegen. Das nennt man Intersektionalität. Wohingegen wir von unseren Privilegien oft nichts merken und sie für selbstverständlich halten, erleben wir die Diskriminierungen bewusst. Es ist hilfreich, sich Gedanken darüber zu machen, von welchen Privilegien wir profitieren, um besser zu verstehen, was andere mit ihren Forderungen nach Gleichberechtigung immer wollen.
Übrigens können auch Benachteiligungen unbewusst erfolgen. Deshalb ist das Argument „ich kenne jemanden, der/die es nicht stört, wenn ich XXX sage“ total sinnlos. Nicht jede*r, der/die von einer Diskriminierung betroffen ist, können dies rationalisieren. Oft werden Diskriminierung gar verinnerlicht und akzeptiert, um damit leben zu können. Das bedeutet nicht, dass sie nicht da wären. So hat beispielsweise meine Großmutter einst ihr Bedauern darüber geäußert, dass sie nichts Handfestes lernen und keiner beruflichen Beschäftigung nachgehen konnte. Dies war ihr nicht vergönnt, weil sie schon als junge Frau auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen und ihre Ausbildung aufgeben musste. Später war sie als Mutter und Ehefrau im Haushalt eingespannt. Diese Rolle hat sie nie infrage gestellt, weil sie nun einmal so vorgegeben war. Was aber nicht heißt, dass sie nicht gerne etwas anderes gemacht hätte, wenn es ihr die Gesellschaft ermöglicht hätte.* Dieses Privileg lag damals beim Mann.
Was hat das mit Kindern zu tun?
Kinder lernen von uns. Sie übernehmen unsere Vorurteile, Weltbilder – und Privilegien. Sie halten sie für selbstverständlich und wachsen wie selbstverständlich in die Rolle, die ihnen die Gesellschaft vorgibt. Deshalb ist es wichtig, schon Kinder dafür zu sensibilisieren, dass nicht alle Menschen die gleichen Voraussetzungen haben. Wir bringen ihnen ja auch bei, Wasser und Strom zu sparen, freundlich zu sein und im Team zu arbeiten. Warum also nicht auch, dass sie nicht alles für selbstverständlich halten müssen. Dazu gehören eben auch unsere Privilegien. Der einfachste Weg, das zu tun, ist, indem Menschen in ihrer Vielfalt zur Normalität werden. In Kinderbüchern. In Spielzeugen. In Kitas und Schulen. Denn auf diese Weise reduzieren sich die Privilegien mancher ganz von allein. Deshalb gibt es KuLKids.
* Bitte denkt nicht, dass ich der Meinung wäre, sich auf Kind und Haushalt zu konzentrieren sei falsch oder mache grundsätzlich unglücklich. Jedem/r der/die das für sich entscheidet und gern macht, sei es vergönnt. Problematisch finde ich es, wenn Menschen (i.d.R. Frauen) in diese Rolle gedrängt werden und nicht für sich entscheiden können, ob dies für sie der richtige Weg ist. Es geht hier also um das Privileg, eine Entscheidung für oder gegen beruflichen Aufstieg, Sorge um die Familie, Kindererziehung, Arbeit im Haushalt treffen zu können.